Ich gehe einen Weg.
Mit guten Schuhen
und allem Notwendigen auf dem Rücken.
Ich gehe viele Stunden am Tag.
Der Weg ist nicht berauschend,
die Aussicht selten famos.
Was ist das Ziel?
Die Pilgerherberge am Abend,
Santiago in weiter Ferne,
zu mir zu kommen mit jedem Schritt.
Ich gehe in Gemeinschaft
mit allen, die sich mit mir auf den Weg gemacht haben.
Aber auch mit allen, die diesen Weg schon gegangen sind
und denen, die ihn noch kommen werden.
Mit ihren Wünschen und Fragen, ihren Hoffnungen und Kümmernissen.
Ich raste in Kirchen am Weg.
Ich stempele in meinen Pilgerausweis.
Genieße
die Kühle, die Ruhe, die Bank, um meine Füße auszuruhen,
die Versenkung in den Augenblick,
in Gottes Gegenwart.
Ich erlebe Gemeinschaft.
im Austausch auf dem Weg,
beim gemeinsamen Mahl vieler fremder Pilgernden in der Herberge,
im freudigen Wiedersehen an den folgenden Tagen.
Keine zufälligen Begegnungen.
Ich gehe und spüre
den drückenden Rucksack, die schmerzenden Füße, die warme Sonne
Ich gehe und denke
was ich noch erledigen will, was ich erreichen möchte, wie ich möglichst viel aus dieser Erfahrung ziehe
Ich gehe und schaue
die Häuser am Wegrand, die Tiere, die Bäume, die gelbe Muschel auf blauem Grund
Ich gehe und lausche
dem Ruf des Kuckucks, den Vögeln des Waldes, den Stimmen meiner Mitpilgernden, den Schritten, den Autos, den Motorrädern, den Kirchenglocken
Ich gehe und rede
über Gott und die Welt, über diese Erfahrung, über die nächste Rast
Ich gehe und höre zu
vom Leben und Erleben meiner Mitpilgernden, von ihren Erfahrungen
Ich gehe und rieche
den Duft der Akazien und Rosen, gedüngte Felder, Benzingeruch, heißen Asphalt
Ich gehe und atme
Ich gehe
Ich gehe
Ich gehe
Kein Anruf mehr von dir, Papa.
Keine Freude in deinen Augen, wenn du mich siehst.
Kein Lächeln mehr von dir, Mama, keine Berührung deiner weichen Hände.
Keine stille Freude mehr von euch, mit einer Tasse Kaffee auf unserer Terrasse zu sitzen.
Jetzt steht er da, der entkoffeinierte Kaffee. Wer soll ihn trinken?
Wer wird mir beim Milch eingießen mit einem Lächeln sagen: „Du weißt ja, rehbraun“.
Überall eure Sachen:
Die hübsche weiße Vase in der sich die Tulpen so wohl fühlen: Wie viel Freude sie dir wohl gebracht hat, Mama? Jetzt erfreut sie mich.
Dein wunderschönes, selbst gemaltes Bild hängt über meinem Bett.
Die goldene Taschenuhr, die in einer anderen Zeit nicht nur die Uhrzeit, sondern auch Wohlstand anzeigte: Was sie wohl alles mit dir und deinem Papa erlebt hat, Papa?
Dein geliebtes Taschenmesser trag ich bei mir.
Und immer sehe ich nur: Eure Liebe zu mir. Rückblickend in allem, was ihr gesagt und getan habt. Und das macht mich gleichzeitig glücklich und traurig. Und ich weiß nicht, warum.
Habe ich euch oft genug gezeigt, wie sehr ich euch liebe?
Was ist oft genug?
Doch dann kommen auch sie: Die Erinnerungen an so viele Umarmungen, Lächeln und Worte voller Liebe. Und meine Tränen trocknen.
Ich radel den Weg nicht mehr zu euch. An dem Neubau vorbei. Ob das Haus schon fertig ist?
Mein Schlüsselbund ist jetzt leichter, meine Einkaufsliste kürzer.
Kein Erschrecken mehr, wenn abends um 10 Uhr das Telefon schellt.
Ich trage eure Sachen:
Ich brauche dein weiches Flanellhemd, Papa.
Und deine Perlenkette, Mama.
Jetzt ist es Mai und die Natur verschwendet sich. Leben in Fülle. Ihr habt ihn so geliebt: Den Frühling. Aber ihr seht die vielen Blumen nicht mehr.
Doch ihr seid jetzt im ewigen Frühling. Im Licht, im Glück, in Gottes Gegenwart. Und damit auch bei mir. Das tröstet mich und lässt mich lächeln.
Es geht immer weiter.
Anders weiter.
Was ist für dich
das Paradies?
Wo fängt es an?
Wo hört es auf?
Und
bist du manchmal mittendrin?
Wie weit bist du bereit, zu gehen?
Und wann?
Spürst du es manchmal auch
in dir?
Bin nicht mehr da
wo ich war
und noch nicht dort
wo ich sein werde
bin irgendwo dazwischen
bin manchmal da und manchmal dort
nirgendwo zuhause
bin Körper, Geist und Seele
doch
wir haben uns verlaufen
total zerfasert, nicht komplett
ich atme
ein und aus
und schmecke die Veränderung
zu herb
Gefühle tanzen mit mir
zu wild
das Leben fließt
es kann nicht anders
ich steh am Rand
und sehe zu
ich wünsch' mir triefend einzutauchen
erfüllt zu sein
nicht starr zu stehen
und kenn‘ den Zauberspruch
doch nicht
ich weiß und spüre
es ist wie's ist
und
Alles geht vorbei
fühle mich noch
so wie zuvor
doch kann mich selbst
dort stehen seh'n
Unsicherheit,
treue Gefährtin,
nimm meine Hand
ich gehe, ja, ich gehe
bleibe nicht stehen
setze zaghafte Schritte
ins Unbekannte
Mein Leben ist ein Fragment
Ich begrenze mich zu viel
Vielleicht werden ich nie alle Teile zusammenbringen
Um das leuchtende Bild meines Selbst bewundern zu können
Das Bild, das Gott schon längst sieht
Weil er mich so gemacht hat
Doch ich scheine durch meine Begrenzungen hindurch
Ich zeige mich durch meine Aussagen und Handlungen
Diese sind oft fragwürdig
zu impulsiv
zu zurückhaltend
zu fordernd
zu ignorant
zu spät
zu früh
zu wenig
zu viel
beängstigend engstirnig
auf subtile Weise arrogant
total ich-zentriert
und manchmal einfach vergeblich
Ich weiß das
Und manchmal schäme ich mich dafür
Doch es liegen gute Absichten zugrunde
Ich tue was ich gerade kann
So gut ich es gerade kann
Das ist manchmal nicht viel
Doch wenn ich nur das sehe, mache ich mich kleiner als ich bin
Gemeint ist, was ich sage und tue
liebevoll und wertschätzend
unterstützend und beruhigend
begeisternd und inspirierend
erleichternd und hilfreich
begleitend und wärmend
Und wenn ich darauf schaue
fange ich an, mich als den Menschen zu erkennen, der ich bin:
Ich bin der, der ich sein will
Denn dorthin wachse ich
Ich lege meine Begrenzungen ab
Lage für Lage
unaufhaltsam
Als Reisen noch selbstverständlich möglich war, hatte ich mit meinem Chor die Ehre und das Glück, ein familiengeführtes Hotel als letzte Gäste zu bewohnen, bevor es wegen mangelnden Interesses der Nachkommenschaft verkauft und einem neuen Zweck zugeführt wurde. Die letzten Tage dieses Hauses mitzuerleben hat mich berührt und zu folgenden Zeilen inspiriert:
Abschied zieht durch alte Räume.
Wehmut, Liebe, stilles Glück.
Eingedenk der guten Zeiten
Dankbarkeit. Ein kleines Stück
Vertrauen in den Neubeginn.
Und Trauer. Denn das Ende kommt
– ganz egal wann – zu früh,
wenn man doch glücklich war.
Leben wurde hier gefeiert
und Gemeinschaft zelebriert:
Zuneigung und Wertschätzung,
Offenheit und Toleranz,
Mahl, Gespräch, Gesang und Tanz
Teilen auch der dunklen Stunden,
denn nur so wird Leben ganz.
Ankunft, Aufbruch, Glück und Abschied
Herzeglück und Herzeleid,
Laute Töne, leise Töne
Alles hatte seine Zeit.
Ist der Ort auch nicht mehr greifbar,
bleibt er doch in uns besteh‘n.
bleibt die Freundschaft und die Wärme
Dies Gefühl wird nie vergeh‘n.
Es gibt leise und laute Worte
Manche Worte sind hart wie Stahl. Kalt und verletzend. Manche sind aber auch süß und weich. Oder wahr und klar wie ein sonniger Frühlingstag, an dem alle Farben so strahlend und dicht in die frische, saubere Luft gemalt sind.
Manche Worte sind neblig, mehlig, sie wabbern durch die Luft, schmecken fad, sind unverdaulich, man muss mühselig durch sie hindurchwaten, manche machen gänzlich bewegungsunfähig.
Worte sind wie Nahrung. Hören wir zu viel Gefühlloses, lesen wir zu viel Belangloses, verhungert unsere Seele. Weil sie zu wenig lebendige Nährstoffe erhält.
Darum ist es gut, sich immer wieder mit Worten zu versorgen, die unserer Seele Nahrung geben. Worte, die uns berühren, etwas in uns zum Schwingen bringen. Die uns durch Einblick in Unbekanntes staunen lassen, Sehnsucht und Hoffnung wecken, uns die Macht unserer Innenwelt erahnen und uns vielleicht sogar selbst Ungewohntes denken lassen.
Worte, die alles Festgefahrene und alles Gewohnte aufbrechen, in ein neues Licht werfen. Sich trotzig aber unbeirrbar siegreich den Weg ans Licht bahnen wie ein Löwenzahn im Asphalt.
Er sah den spiegelglatten, tiefdunkelblauen See. Die Bäume und Büsche, die ihn säumten wirkten leicht, aber unbewegt. Wie in einem Gemälde von Monet. Sie spiegelten sich exakt im Wasser. Ein wundervolles Bild.
Und eine wundervolle Stille lebte hier. Es war eine weiche, sanfte Stille. Er konnte sie regelrecht fühlen. Sie schmiegte sich an ihn und fast fühlte er sich in ihr zerfließen. Das war Glück. Lautloses, vollkommenes Glück. Nur da zu sitzen, diese wunderschönen Farben in sich aufzunehmen: Das Dunkelblau des Sees, die verschiedenen Grüntöne der Uferbewachsung, der lichtblaue, wolkenlose Himmel, und dann diese wunderbare Stille zu kosten. Ja, vollkommen zu spüren, eins zu sein mit all dem.
Es gibt ja so viele Arten von Stille. So viele Gefühle, die sie auslösen kann. Es gibt die angstvolle Stille nach einem lauten Knall, die einvernehmliche Stille zweier gleich schwingender Seelen und die hilflose Stille, wenn Worte fehlen.
Es gibt die elektrisierende Stille vor dem ersten Kuss. Die köstliche Stille zwischen zwei Sätzen einer großen Orchesterpartitur. Aber auch die sprachlose Stille, die große Enttäuschungen mit sich bringen, oder die einsame Stille: Das Fehlen eines verzweifelt gewünschten Gegenübers.
Und nur Gott weiß, wie viele Nuancen der Stille sich in dieser von Geräuschen überschwemmten Welt noch verstecken. Aber diese vollkommene, alles durchdringende Stille, die sonst nur noch in großen, würdevollen Kathedralen lebt, ist die Königin unter ihnen.
So in seine Gedanken vertieft spürte er plötzlich einen Windhauch. Einige Blätter raschelten leicht und der Moment war verflogen. Er atmete tief einen kurzen Anflug von Trauer weg und setzte seinen Weg fort.
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